Satire […] tritt
nicht nach unten.
Sookee (Rietzschel 2017)
Sookee (Rietzschel 2017)
Vorbemerkung: Während ich an meiner Dissertation arbeitet, ergaben sich im Frühjahr und Frühsommer 2017 einige richtungsweisende Gerichtsverfahren, die ich nicht ignorieren konnte. Ich verfasste einen Einschub mit oben genannten Titel, der im Zuge der Überarbeitungen aus der Dissertation allerdings wieder herausfiel, weil er zu weit vom Thema wegführte. Da aber in den Ausführungen einige Gedanken stecken, auf die ich mich in meiner Arbeit beziehen möchte, veröffentliche ich sie hier im Nachhinein, allerdings rückdatiert auf einen Zeitpunkt, als der Text vollständig vorlag, um ihn zeitlich in den richtigen Kontext zu setzen.
Ein Verfahren zu Falschmeldungen über die damals
noch Bundessprecherin der Grünen, Eva Glawischnig, ergibt im
Frühjahr 2017, dass Hasspostings, die vor dem österreichischen
Recht als solche gelten, von der betreffenden Medienplattform
weltweit zu löschen seien und nicht lediglich für das betreffende
Land, in dem die entsprechende Gesetzgebung wirke zu sperren sei
(vgl. APA 2017a). Während die EU weiterhin auf die freiwillige
Löschung von rechtswidrigen Inhalten durch die Unternehmen setzt
(vgl. APA 2017b), beschließt der Deutsche Bundestag diesbezüglich
ein Gesetz, wobei im Zentrum der Bemühungen strengere Bestimmungen
für Unternehmen im Umgang mit auf ihren Plattformen geposteten
Nachrichten stehen, was im Sinne von Opferschutz als Schritt in die
richtige Richtung gewertet werden kann (Falschmeldungen u. ä.
müssen binnen 24 Stunden aus dem Netz genommen werden), allerdings
auch als einseitig kritisiert wird. So liege beispielsweise damit die
Einschätzung über Postings als strafbar, Meinungsäußerungen oder
Satire bei den Plattformbetreiber*innen (vgl. APA 2017c).
Konsequent weitergedacht legitimieren solche
Entwicklungen wiederum Vorgangsweisen gegen Meinungsäußerungen und
kritische Kunstformen wie Satire, auch wenn es Fernsehen oder
Printmedien betrifft (die notgedrungen mit der digitalen
Öffentlichkeit des Internets konvergieren). Das zeigt sich
beispielsweise im Zivilrechtsstreit zwischen dem türkischen
Präsidenten* Recep Tayyip Erdoğan und dem deutschen
Fernsehmoderator* Jan Böhmermann infolge einer „Schmähkritik“,
die Böhmermann in seiner ZDF-Satiresendung Neo Magazin Royale
(2016) in Form eines Gedichts vortrug. Im Vorfeld gab es im Zuge
einer diplomatischen Intervention der Erdoğan-Regierung den Versuch,
ein Verbot für die Verbreitung des Liedes Erdowie, Erdowo,
Erdogan der NDR-Satiresendung Extra 3 (2016) über den
problematischen Umgang Erdoğans mit Journalist*innen und die
Einschränkung von Meinungsäußerungen aus der Zivilgesellschaft zu
erwirken (vgl. SZ.de et al. 2016). Böhmermann fand in der Affäre
einen Bildungsauftrag, die Grenzen von Satire und juristisch
verfolgbaren Aussagen aufzuzeigen, gab mit einem Erdoğan bewusst
diffamierenden Gedicht mit rassistischen und sexuell abwertenden
Aussagen ein konkretes Beispiel dafür, was selbst in Deutschland
strafrechtlich relevant sein kann. Die Verbreitung des
Sendungsausschnittes im Internet wurde in die Erklärung rund um das
Gedicht erwähnt und bewusst einkalkuliert. Die deutsche
Bundeskanzlerin Angela Merkel distanzierte sich allerdings von
Böhmermanns Gedicht und lies Erdoğans Klage gegen ihn in
Deutschland zu (vgl. Becker 2016). Das darauf folgende Strafverfahren
wurde eingestellt, auf zivilrechtlichem Weg erwirkte Erdoğan
bislang, dass zumindest ein Teil des Gedichts nicht öffentlich
wiederholt werden darf. Nach einer Berufung beider Parteien –
Erdoğan ging es um ein völliges Verbot des Gedichts (vgl. Siemens
2017), Böhmermann sah das Gedicht aus dem Kontext gerissen und die
künstlerische Freiheit angegriffen (vgl. kna, afp & dpa 2017) –
ging das Verfahren in die nächste Instanz, wo das Urteil bestätigt
wurde. Böhmermanns Anwalt kündigte allerdings eine Beschwerde an
den Bundesgerichtshof an (vgl. Beisel 2018).
Hier geht es im Kern zwar um einen Politiker*, der
sich von einem Angriff auf seine Person mit rechtlichen Schritten
gegen eine von ihm als solche wahrgenommene Beleidigung wehrt,
eskalierend wirken dabei allerdings die Umstände, dass ausgerechnet
Deutschland federführend in einer Vereinbarung mit der Türkei war,
die Geflüchtete aus asiatischen, arabischen und afrikanischen
Krisenherden von ihrem Weg nach Europa abhalten soll. Somit wurde die
als Satire gemeinte und zu einem großen Teil auch so verstandene
Veröffentlichung des Gedichts zu einem politischen Problem und
zeigt, wie dünn der Schutz von Meinungsfreiheit sein kann, wenn
diese einem größeren politischen Ziel im Weg steht. Denn Erdoğans
Anwalt bezieht sich bei seiner Argumentation nicht nur auf den
persönlichen Affront gegen seinen Klienten, sondern sieht das
Gedicht zum einen als Attacke auf das türkische Volk und zum anderen
als Fortsetzung jahrzehntelanger rassistischer Beleidigung gegenüber
in Deutschland lebenden Türk*innen (vgl. Siemens 2017) und reiht
Erdoğan damit nicht nur als einen von ihnen ein, sondern macht diese
damit auch zu Mit-Opfern und spielt somit ein innergesellschaftliches
Problem gegen die politische Affäre aus. Dabei wird das Gedicht
bewusst außerhalb des Kontextes gesehen, den Böhmermann im Gespräch
mit seinem Sendungspartner* Ralf Kabelka legen, in dem immer wieder
darauf verwiesen wird, dass die Veröffentlichung eines derartigen
Gedichts verboten sei und prognostizieren bereits in ihren
Erklärungen, welche Konsequenzen darauf folgen würden, genau das,
was im Anschluss tatsächlich passiert. Im Gesamtbild zeigt sich also
ein Bühnenstück über die Grenzen von Satire, Kunst und
Meinungsfreiheit, das Böhmermann in seiner Perfektion wahrscheinlich
nicht so vorausplanen hätte können und mit dessen realer Wirkmacht
er möglicherweise auch nicht gerechnet hat, obwohl er bei
seinen anderen medien- und gesellschaftskritischen Aktionen ebenfalls
viel Aufwand betreibt und entsprechend weitreichende Wirkung erzielt.
In der Ausführlichkeit, mit der ich diesen Fall
beschreibe, möchte ich möglichst nachvollziehbar machen, wie
schwierig es wird, klar zwischen als Satire zulässige, auf die
Spitze getriebene Kritik und Hassbotschaften zu unterscheiden.
Umgekehrt wiederum zeigt nämlich eine Spezialausgabe der ORF-Sendung
„Thema“ zu „Hass im Internet“ (2017) welche Auswirkungen
persönliche Attacken im Internet auf Betroffene – neben Personen
des öffentlichen Lebens auch Privatpersonen – haben können. So
lesen die zuvor bereits erwähnte ehemalige Bundessprecherin der
Grünen, Eva Glawischnig, Journalistin und ORF-Moderatorin Ingrid
Thurnher, Radiomoderatorin Elke Rock und Natascha Kampusch,
Überlebende einer Entführung mit langjährigem Freiheitsentzug,
Postings, die im Internet an sie gerichtet waren. Was sie verlesen,
ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, womit sich Frauen im
öffentlichen Interesse wiederholt konfrontiert sehen. Natascha
Kampusch, beispielsweise, wird von „Peter“ aufgefordert, „zurück
in den Keller“ zu gehen (wo sie gefangen war) und deutet in der
Folge den sexuellen Missbrauch an, dem sie ausgesetzt war und den er
ihr offenbar wieder wünscht (ab Min. 2:17). Eine jungen Frau, die
ein Trauma von acht Jahren Gefangenschaft zu verarbeiten hat und in
der Folge durch die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit
wiederholt retraumatisiert wurde, in ihr Martyrium zurück zu
wünschen, ist vergleichbar mit dem, was ihr physisch angetan wurde –
ein Übergriff, der bei aller wissenschaftlich erforderlichen Distanz
sprachlos macht. Ingrid Thurnher und Eva Glawischnig tragen eine
Mischung aus gewaltvollen, rassistischen und sexistischen Postings
vor – inhaltlich ähnlich der Schmähkritik von Böhmermann,
allerdings ohne einem Kontext, der diese Aussagen als Satire
erkenntlich machen würden. Satire wird oftmals Schutzbehauptung von
Urheber*innen von Hassbotschaften angeführt. Natascha Kampusch
bringt im Interview auf den Punkt, inwieweit Hass im Netz eine Frage
von Machtverhältnissen ist und damit auch eine vergeschlechtlichte
Dimension hat: „Immer wieder diese Betonung auf das Sexuelle und
diese Reduzierung auf ein Lustobjekt – das macht es schwierig, sich
als Frau zu behaupten und sich als die emanzipierte Frau
darzustellen, die man letztendlich auch ist.“ (ab Min. 15:12).
Mit der Erkenntnis, durch Technologien, die im
Alltag weit verbreitet und vergleichsweise leicht bedienbar sind, im
Internet mit der eigenen Meinung ein breites Publikum zu finden, und
die Tatsache, dass das Internet als Medium eine größere Distanz zu
jenen erscheinen lässt, über die die Meinung geäußert wird,
enthemmt. Es ist leichter, sich in Internetforen unter
Gleichgesinnten Luft zu machen, als zur betreffenden Person oder
Vertreter*innen der vermeintlich für den Unmut verantwortlichen
Gruppe diese Meinung in einer persönlichen Begegnung zu
verbalisieren. Die in den letzten Jahren sich zuspitzende Diskussion
um Hass im Internet, die Manipulation von Meinungsbildung durch
Falschmeldungen und Verleumdung bei gleichzeitiger Entgrenzung von
globaler Kommunikation und damit das Aufeinandertreffen von
unterschiedlichen Wertehaltungen darüber, was als Kritik akzeptabel
oder als Beleidigung gilt, führt zu einigen Fragen, die uns in
Zukunft juristisch, politisch, in sozialer Hinsicht und dadurch in
jedem Fall auch als Herausforderung für die Bildung beschäftigen
werden. Wie lassen sich Hassbotschaften von freier Meinungsäußerung
(z.B. gegenüber Politiker*innen) unterscheiden und wie kann die
Gesellschaft einen Umgang mit dieser Explosion von verbaler Gewalt
durch die digitale Erweiterung des öffentlichen Raums finden? Wie
können vulnerable Individuen vor Cybermobbing besser geschützt
werden? Wie finden wir zu einem ähnlichen gemeinsamen
Verhaltenskodex online, dem wir offenbar in persönlichen Begegnungen
auf der Straße folgen – nämlich, dass wir uns selbst bei
Differenzen nicht derart verletzen (verbal und physisch), wie es im
Internet der Fall ist. Was Konflikte und Uneinigkeit im virtuellen
Raum eskalieren lässt, wird durch die Technologie ermöglicht: dass sich
Hasspostings und Verleumdungen in den Sozialen Medien rasch
verbreiten, dass sie durch ihre Materialität (eine wiederholt
abrufbare Dokumentation von Aussagen) nachhaltiger bestehen als ein
einmal ausgesprochener Angriff und eben durch die wiederholte
Konfrontation damit bzw. durch die Bestätigung durch andere
intensive Verletzung der Betroffenen verursachen können. Nicht nur
dort, aber vor allem bei GSRM1
(Thema meiner Dissertation) tragen solch intensive Angriffe dazu bei, dass sich Betroffene
aufgrund ihres Geschlechts oder Sexualität ausgegrenzt fühlen,
unter psychischen Belastungen leiden und in einigen Fällen, die auch
immer wieder in den Medien berichtet werden, ihr Leben beenden. Dass
das Internet allerdings nicht nur ein Ort ist, an dem (vielfach
ungeahndete gewaltvolle) Übergriffe stattfinden, sondern auch
Stärkung, Community und Ausbildung von Resilienz ermöglichen kann, habe ich in meiner Dissertation (Hofstätter, noch unveröffentlicht) weiterführend erläutert.
1 GSRM = Gender,
Sexual, and Romantic Minorities als inklusive Alternativbezeichnung zu LGBTIQ*
Quellen:
APA
(2017a). Grünen-Erfolg: Facebook muss Hasspostings weltweit löschen.
In: derStandard.at. Wien, 8. Mai 2017. Online:
http://derstandard.at/2000057174561/Gruene-erfolgreich-Facebook-muss-weltweit-loeschen
[12.07.2017]
APA
(2017b). EU setzt weiter auf freiwilliges Löschen von
Hassbotschaften im Netz. In: derStandard.at. Wien, 7. Juli 2017.
Online:
http://derstandard.at/2000060946724/EU-setzt-weiter-auf-freiwilliges-Loeschen-von-Hassbotschaften-im-Netz
[13.07.2017]
APA
(2017c). Bundestag beschließt Gesetz gegen Hetze im Internet. In:
derStandard.at. Wien, 30. Juni 2017. Online:
http://derstandard.at/2000060582299-2000019877270/Deutscher-Bundestag-beschliesst-Gesetz-gegen-Hetze-im-Internet
[12.07.2017]
Becker,
Julia (2016). Verfahren im Fall Böhmermann: Merkel entschied ohne
Prüfbericht. In: tagesschau.de. Hamburg, 18. April 2016. Online:
https://www.tagesschau.de/inland/boehmermann-bericht-merkel-101.html
[13.07.2017]
Beisel,
Karoline Meta (2018). "Angriff auf die personale Würde".
In Süddeutsche Zeitung. Online:
http://www.sueddeutsche.de/medien/berufungsurteil-angriff-auf-die-personale-wuerde-1.3980623
[25.06.2018]
Böhmermann,
Jan (2016). Schmähkritik. In: Neo Magazin Royale. ZDF, 31. März
2016. Transkript: Soboll, Dorothe (2016). Böhmermann vs. Erdogan:
Wortlaut und Kontext des gelöschten Gedichts. In: Badische Zeitung.
Freiburg, 12. April 2016. Online:
http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/boehmermann-vs-erdogan-wortlaut-und-kontext-des-geloeschten-gedichts--120693256.html
[13.7.2017]
Extra
3 (2016). Moderation: Christian Ehring. NDR, 17. März 2016
Hofstätter, Birgit (noch unveröffentlicht). Medienpartizipation
und queer politics. Alltägliches
Medienhandeln als Beitrag zu öffentlichen Diskursen über Geschlecht
und Sexualität. Impulse für die Medienbildung. Dissertation an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt.
kna,
afp & dpa (2017). Schmähkritik: Böhmermann-Gedicht großteils
verboten. In: Badische Zeitung. Freiburg, 10. Februar 2017. Online:
http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/schmaehkritik-boehmermann-gedicht-grossteils-verboten--133404541.html
[13.07.2017]
Neo
Magazin Royale (2016).
Moderation:
Jan
Böhmermann. ZDF, 31. März 2016.
Siemens,
Ansgar (2017). Erdogan legt wegen Böhmermann-Gedicht Berufung ein.
In: Spiegel Online. Hamburg, 12. Juli 2017. Online:
http://www.spiegel.de/kultur/tv/jan-boehmermann-recep-tayyip-erdogan-geht-in-berufung-gegen-schmaehgedicht-a-1157312.html
[13.07.2017]
SZ.de,
AP, Reuters &AFP (2016). "Erdoğan macht sich zum
Gespött". In: SZ.de. München, 29. März 2016.
http://www.sueddeutsche.de/politik/pressefreiheit-tuerkei-fordert-verbreitungsstop-fuer-deutsche-satire-1.2925579
[14.07.2017]
Thema
Spezial: Hass im Internet (2017). ORF2,
10. Juli 2017.