Wednesday, June 6, 2018

Meinungsfreiheit vs. Persönlichkeitsrechte

Satire […] tritt nicht nach unten.
Sookee (Rietzschel 2017)

Vorbemerkung: Während ich an meiner Dissertation arbeitet, ergaben sich im Frühjahr und Frühsommer 2017 einige richtungsweisende Gerichtsverfahren, die ich nicht ignorieren konnte. Ich verfasste einen Einschub mit oben genannten Titel, der im Zuge der Überarbeitungen aus der Dissertation allerdings wieder herausfiel, weil er zu weit vom Thema wegführte. Da aber in den Ausführungen einige Gedanken stecken, auf die ich mich in meiner Arbeit beziehen möchte, veröffentliche ich sie hier im Nachhinein, allerdings rückdatiert auf einen Zeitpunkt, als der Text vollständig vorlag, um ihn zeitlich in den richtigen Kontext zu setzen.

Ein Verfahren zu Falschmeldungen über die damals noch Bundessprecherin der Grünen, Eva Glawischnig, ergibt im Frühjahr 2017, dass Hasspostings, die vor dem österreichischen Recht als solche gelten, von der betreffenden Medienplattform weltweit zu löschen seien und nicht lediglich für das betreffende Land, in dem die entsprechende Gesetzgebung wirke zu sperren sei (vgl. APA 2017a). Während die EU weiterhin auf die freiwillige Löschung von rechtswidrigen Inhalten durch die Unternehmen setzt (vgl. APA 2017b), beschließt der Deutsche Bundestag diesbezüglich ein Gesetz, wobei im Zentrum der Bemühungen strengere Bestimmungen für Unternehmen im Umgang mit auf ihren Plattformen geposteten Nachrichten stehen, was im Sinne von Opferschutz als Schritt in die richtige Richtung gewertet werden kann (Falschmeldungen u. ä. müssen binnen 24 Stunden aus dem Netz genommen werden), allerdings auch als einseitig kritisiert wird. So liege beispielsweise damit die Einschätzung über Postings als strafbar, Meinungsäußerungen oder Satire bei den Plattformbetreiber*innen (vgl. APA 2017c). 

Konsequent weitergedacht legitimieren solche Entwicklungen wiederum Vorgangsweisen gegen Meinungsäußerungen und kritische Kunstformen wie Satire, auch wenn es Fernsehen oder Printmedien betrifft (die notgedrungen mit der digitalen Öffentlichkeit des Internets konvergieren). Das zeigt sich beispielsweise im Zivilrechtsstreit zwischen dem türkischen Präsidenten* Recep Tayyip Erdoğan und dem deutschen Fernsehmoderator* Jan Böhmermann infolge einer „Schmähkritik“, die Böhmermann in seiner ZDF-Satiresendung Neo Magazin Royale (2016) in Form eines Gedichts vortrug. Im Vorfeld gab es im Zuge einer diplomatischen Intervention der Erdoğan-Regierung den Versuch, ein Verbot für die Verbreitung des Liedes Erdowie, Erdowo, Erdogan der NDR-Satiresendung Extra 3 (2016) über den problematischen Umgang Erdoğans mit Journalist*innen und die Einschränkung von Meinungsäußerungen aus der Zivilgesellschaft zu erwirken (vgl. SZ.de et al. 2016). Böhmermann fand in der Affäre einen Bildungsauftrag, die Grenzen von Satire und juristisch verfolgbaren Aussagen aufzuzeigen, gab mit einem Erdoğan bewusst diffamierenden Gedicht mit rassistischen und sexuell abwertenden Aussagen ein konkretes Beispiel dafür, was selbst in Deutschland strafrechtlich relevant sein kann. Die Verbreitung des Sendungsausschnittes im Internet wurde in die Erklärung rund um das Gedicht erwähnt und bewusst einkalkuliert. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel distanzierte sich allerdings von Böhmermanns Gedicht und lies Erdoğans Klage gegen ihn in Deutschland zu (vgl. Becker 2016). Das darauf folgende Strafverfahren wurde eingestellt, auf zivilrechtlichem Weg erwirkte Erdoğan bislang, dass zumindest ein Teil des Gedichts nicht öffentlich wiederholt werden darf. Nach einer Berufung beider Parteien – Erdoğan ging es um ein völliges Verbot des Gedichts (vgl. Siemens 2017), Böhmermann sah das Gedicht aus dem Kontext gerissen und die künstlerische Freiheit angegriffen (vgl. kna, afp & dpa 2017) – ging das Verfahren in die nächste Instanz, wo das Urteil bestätigt wurde. Böhmermanns Anwalt kündigte allerdings eine Beschwerde an den Bundesgerichtshof an (vgl. Beisel 2018). 

Hier geht es im Kern zwar um einen Politiker*, der sich von einem Angriff auf seine Person mit rechtlichen Schritten gegen eine von ihm als solche wahrgenommene Beleidigung wehrt, eskalierend wirken dabei allerdings die Umstände, dass ausgerechnet Deutschland federführend in einer Vereinbarung mit der Türkei war, die Geflüchtete aus asiatischen, arabischen und afrikanischen Krisenherden von ihrem Weg nach Europa abhalten soll. Somit wurde die als Satire gemeinte und zu einem großen Teil auch so verstandene Veröffentlichung des Gedichts zu einem politischen Problem und zeigt, wie dünn der Schutz von Meinungsfreiheit sein kann, wenn diese einem größeren politischen Ziel im Weg steht. Denn Erdoğans Anwalt bezieht sich bei seiner Argumentation nicht nur auf den persönlichen Affront gegen seinen Klienten, sondern sieht das Gedicht zum einen als Attacke auf das türkische Volk und zum anderen als Fortsetzung jahrzehntelanger rassistischer Beleidigung gegenüber in Deutschland lebenden Türk*innen (vgl. Siemens 2017) und reiht Erdoğan damit nicht nur als einen von ihnen ein, sondern macht diese damit auch zu Mit-Opfern und spielt somit ein innergesellschaftliches Problem gegen die politische Affäre aus. Dabei wird das Gedicht bewusst außerhalb des Kontextes gesehen, den Böhmermann im Gespräch mit seinem Sendungspartner* Ralf Kabelka legen, in dem immer wieder darauf verwiesen wird, dass die Veröffentlichung eines derartigen Gedichts verboten sei und prognostizieren bereits in ihren Erklärungen, welche Konsequenzen darauf folgen würden, genau das, was im Anschluss tatsächlich passiert. Im Gesamtbild zeigt sich also ein Bühnenstück über die Grenzen von Satire, Kunst und Meinungsfreiheit, das Böhmermann in seiner Perfektion wahrscheinlich nicht so vorausplanen hätte können und mit dessen realer Wirkmacht er möglicherweise auch nicht gerechnet hat, obwohl er bei seinen anderen medien- und gesellschaftskritischen Aktionen ebenfalls viel Aufwand betreibt und entsprechend weitreichende Wirkung erzielt.

In der Ausführlichkeit, mit der ich diesen Fall beschreibe, möchte ich möglichst nachvollziehbar machen, wie schwierig es wird, klar zwischen als Satire zulässige, auf die Spitze getriebene Kritik und Hassbotschaften zu unterscheiden. Umgekehrt wiederum zeigt nämlich eine Spezialausgabe der ORF-Sendung „Thema“ zu „Hass im Internet“ (2017) welche Auswirkungen persönliche Attacken im Internet auf Betroffene – neben Personen des öffentlichen Lebens auch Privatpersonen – haben können. So lesen die zuvor bereits erwähnte ehemalige Bundessprecherin der Grünen, Eva Glawischnig, Journalistin und ORF-Moderatorin Ingrid Thurnher, Radiomoderatorin Elke Rock und Natascha Kampusch, Überlebende einer Entführung mit langjährigem Freiheitsentzug, Postings, die im Internet an sie gerichtet waren. Was sie verlesen, ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, womit sich Frauen im öffentlichen Interesse wiederholt konfrontiert sehen. Natascha Kampusch, beispielsweise, wird von „Peter“ aufgefordert, „zurück in den Keller“ zu gehen (wo sie gefangen war) und deutet in der Folge den sexuellen Missbrauch an, dem sie ausgesetzt war und den er ihr offenbar wieder wünscht (ab Min. 2:17). Eine jungen Frau, die ein Trauma von acht Jahren Gefangenschaft zu verarbeiten hat und in der Folge durch die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit wiederholt retraumatisiert wurde, in ihr Martyrium zurück zu wünschen, ist vergleichbar mit dem, was ihr physisch angetan wurde – ein Übergriff, der bei aller wissenschaftlich erforderlichen Distanz sprachlos macht. Ingrid Thurnher und Eva Glawischnig tragen eine Mischung aus gewaltvollen, rassistischen und sexistischen Postings vor – inhaltlich ähnlich der Schmähkritik von Böhmermann, allerdings ohne einem Kontext, der diese Aussagen als Satire erkenntlich machen würden. Satire wird oftmals Schutzbehauptung von Urheber*innen von Hassbotschaften angeführt. Natascha Kampusch bringt im Interview auf den Punkt, inwieweit Hass im Netz eine Frage von Machtverhältnissen ist und damit auch eine vergeschlechtlichte Dimension hat: „Immer wieder diese Betonung auf das Sexuelle und diese Reduzierung auf ein Lustobjekt – das macht es schwierig, sich als Frau zu behaupten und sich als die emanzipierte Frau darzustellen, die man letztendlich auch ist.“ (ab Min. 15:12). 

Mit der Erkenntnis, durch Technologien, die im Alltag weit verbreitet und vergleichsweise leicht bedienbar sind, im Internet mit der eigenen Meinung ein breites Publikum zu finden, und die Tatsache, dass das Internet als Medium eine größere Distanz zu jenen erscheinen lässt, über die die Meinung geäußert wird, enthemmt. Es ist leichter, sich in Internetforen unter Gleichgesinnten Luft zu machen, als zur betreffenden Person oder Vertreter*innen der vermeintlich für den Unmut verantwortlichen Gruppe diese Meinung in einer persönlichen Begegnung zu verbalisieren. Die in den letzten Jahren sich zuspitzende Diskussion um Hass im Internet, die Manipulation von Meinungsbildung durch Falschmeldungen und Verleumdung bei gleichzeitiger Entgrenzung von globaler Kommunikation und damit das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Wertehaltungen darüber, was als Kritik akzeptabel oder als Beleidigung gilt, führt zu einigen Fragen, die uns in Zukunft juristisch, politisch, in sozialer Hinsicht und dadurch in jedem Fall auch als Herausforderung für die Bildung beschäftigen werden. Wie lassen sich Hassbotschaften von freier Meinungsäußerung (z.B. gegenüber Politiker*innen) unterscheiden und wie kann die Gesellschaft einen Umgang mit dieser Explosion von verbaler Gewalt durch die digitale Erweiterung des öffentlichen Raums finden? Wie können vulnerable Individuen vor Cybermobbing besser geschützt werden? Wie finden wir zu einem ähnlichen gemeinsamen Verhaltenskodex online, dem wir offenbar in persönlichen Begegnungen auf der Straße folgen – nämlich, dass wir uns selbst bei Differenzen nicht derart verletzen (verbal und physisch), wie es im Internet der Fall ist. Was Konflikte und Uneinigkeit im virtuellen Raum eskalieren lässt, wird durch die Technologie ermöglicht: dass sich Hasspostings und Verleumdungen in den Sozialen Medien rasch verbreiten, dass sie durch ihre Materialität (eine wiederholt abrufbare Dokumentation von Aussagen) nachhaltiger bestehen als ein einmal ausgesprochener Angriff und eben durch die wiederholte Konfrontation damit bzw. durch die Bestätigung durch andere intensive Verletzung der Betroffenen verursachen können. Nicht nur dort, aber vor allem bei GSRM1 (Thema meiner Dissertation) tragen solch intensive Angriffe dazu bei, dass sich Betroffene aufgrund ihres Geschlechts oder Sexualität ausgegrenzt fühlen, unter psychischen Belastungen leiden und in einigen Fällen, die auch immer wieder in den Medien berichtet werden, ihr Leben beenden. Dass das Internet allerdings nicht nur ein Ort ist, an dem (vielfach ungeahndete gewaltvolle) Übergriffe stattfinden, sondern auch Stärkung, Community und Ausbildung von Resilienz ermöglichen kann, habe ich in meiner Dissertation (Hofstätter, noch unveröffentlicht) weiterführend erläutert.

1 GSRM = Gender, Sexual, and Romantic Minorities als inklusive Alternativbezeichnung zu LGBTIQ*

Quellen:
APA (2017a). Grünen-Erfolg: Facebook muss Hasspostings weltweit löschen. In: derStandard.at. Wien, 8. Mai 2017. Online: http://derstandard.at/2000057174561/Gruene-erfolgreich-Facebook-muss-weltweit-loeschen [12.07.2017]
APA (2017b). EU setzt weiter auf freiwilliges Löschen von Hassbotschaften im Netz. In: derStandard.at. Wien, 7. Juli 2017. Online: http://derstandard.at/2000060946724/EU-setzt-weiter-auf-freiwilliges-Loeschen-von-Hassbotschaften-im-Netz [13.07.2017]
APA (2017c). Bundestag beschließt Gesetz gegen Hetze im Internet. In: derStandard.at. Wien, 30. Juni 2017. Online: http://derstandard.at/2000060582299-2000019877270/Deutscher-Bundestag-beschliesst-Gesetz-gegen-Hetze-im-Internet [12.07.2017]
Becker, Julia (2016). Verfahren im Fall Böhmermann: Merkel entschied ohne Prüfbericht. In: tagesschau.de. Hamburg, 18. April 2016. Online: https://www.tagesschau.de/inland/boehmermann-bericht-merkel-101.html [13.07.2017]
Beisel, Karoline Meta (2018). "Angriff auf die personale Würde". In Süddeutsche Zeitung. Online: http://www.sueddeutsche.de/medien/berufungsurteil-angriff-auf-die-personale-wuerde-1.3980623 [25.06.2018]
Böhmermann, Jan (2016). Schmähkritik. In: Neo Magazin Royale. ZDF, 31. März 2016. Transkript: Soboll, Dorothe (2016). Böhmermann vs. Erdogan: Wortlaut und Kontext des gelöschten Gedichts. In: Badische Zeitung. Freiburg, 12. April 2016. Online: http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/boehmermann-vs-erdogan-wortlaut-und-kontext-des-geloeschten-gedichts--120693256.html [13.7.2017]
Extra 3 (2016). Moderation: Christian Ehring. NDR, 17. März 2016 
Hofstätter, Birgit (noch unveröffentlicht). Medienpartizipation und queer politics. Alltägliches Medienhandeln als Beitrag zu öffentlichen Diskursen über Geschlecht und Sexualität. Impulse für die Medienbildung. Dissertation an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt.
kna, afp & dpa (2017). Schmähkritik: Böhmermann-Gedicht großteils verboten. In: Badische Zeitung. Freiburg, 10. Februar 2017. Online: http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/schmaehkritik-boehmermann-gedicht-grossteils-verboten--133404541.html [13.07.2017]
Neo Magazin Royale (2016). Moderation: Jan Böhmermann. ZDF, 31. März 2016.
Siemens, Ansgar (2017). Erdogan legt wegen Böhmermann-Gedicht Berufung ein. In: Spiegel Online. Hamburg, 12. Juli 2017. Online: http://www.spiegel.de/kultur/tv/jan-boehmermann-recep-tayyip-erdogan-geht-in-berufung-gegen-schmaehgedicht-a-1157312.html [13.07.2017]
SZ.de, AP, Reuters &AFP (2016). "Erdoğan macht sich zum Gespött". In: SZ.de. München, 29. März 2016. http://www.sueddeutsche.de/politik/pressefreiheit-tuerkei-fordert-verbreitungsstop-fuer-deutsche-satire-1.2925579 [14.07.2017]
Thema Spezial: Hass im Internet (2017). ORF2, 10. Juli 2017.